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Texten | Europa sollte ein Reich werden | Carlo Masala | 10.10.04
    10 октября 2004, 17:17
 

Europa sollte ein Reich werden

Carl Schmitts Großraumtheorie könnte helfen, dem imperialen Universalismus der Vereinigten Staaten auf kluge Weise zu entkommen
Von Carlo Masala

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 10.10.2004, Nr. 41 / Seite 15

Mit den Anschlägen des 11. September ist der geopolitische Raum als eine Kategorie des Politischen auf die Bühne der internationalen Politik zurückgekehrt - und so erlebt auch das Werk des Staatsrechtlers Carl Schmitt neue Aufmerksamkeit. Insbesondere die 1939 vorgestellte Großraumtheorie erweckt das Interesse derer, die sich fragen, wie die Entwicklungen der internationalen Politik und insbesondere die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten sowie den Regionalmächten Rußland, China und der Europäischen Union analytisch erfaßt werden können.

In seiner Schrift "Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht" diagnostizierte Schmitt das Heraufziehen einer neuen Weltordnung. Das bisherige Völkerrecht, dessen Kern die Souveränität der Staaten gewesen war, sei, so Schmitt, im Absterben begriffen. An seine Stelle treten Großräume, die von Reichen geordnet und geführt werden. Reiche sind die führenden Mächte innerhalb dieser Großraumordnung, deren politische Ideen in den Großraum hineinstrahlen und diesen definieren. Die Reiche schließen für ihren Großraum die Interventionen fremder Mächte grundsätzlich aus. Schmitt entwickelte diese Theorie in Anknüpfung an ein historisches Vorbild, die Monroe-Doktrin. Mit dieser wandte sich der amerikanische Präsident Monroe 1823 gegen jegliche europäische Einmischung in die, wie er sie nannte, Western Hemisphere. Ein Reich (die Vereinigten Staaten) strahlt seine politische Idee (die republikanische Staatsform, die sie in Gegensatz zum System der Monarchien Europas stellt) auf einen durch das Reich konstituierten Großraum aus (Western Hemisphere) und schützt die Souveränität der Staaten dieses Raums durch ein Interventionsverbot für fremde Mächte. Für Schmitt wurde die Monroe-Doktrin durch Roosevelt (asiatische Monroe-Doktrin) und Wilson (Monroe-Doktrin als Weltdoktrin) zur Expansionstheorie umgedeutet und so einer universalistischen Weltdoktrin Vorschub geleistet.

Die "Globalisierung des Völkerrechts" zog die Entortung des Völkerrechtes nach sich. Was einst nur für den Umgang der europäischen Staaten untereinander konzipiert war, galt nun weltweit. Es entstand ein "universalistisch-imperialistisches, raumaufhebendes Weltrecht". Die Welt trat in eine neue Phase der Raumrevolution, in welcher die Staaten nicht mehr fähig oder willens waren, eine Raumteilung herbeizuführen. Es drohte die Rückkehr zum totalen Bürgerkrieg. Die größte Errungenschaft des Ius Publicum Europeum, wie Schmitt das europäische Völkerrecht nannte, die Einhegung des Krieges, lief Gefahr verlorenzugehen.

Um den aus der Universalisierung des Völkerrechts resultierenden Weltbürgerkrieg zu verhindern, mußte eine neue völkerrechtliche Instanz her, die fähig war, Frieden zu stiften. Diese Instanz sah Schmitt in Reichen: "Reiche sind die führenden und tragenden Mächte, deren politische Idee in einen bestimmten Großraum ausstrahlt und die für diesen Großraum die Intervention fremdräumiger Mächte grundsätzlich ausschließen." Für das neue Völkerrecht sei, so Schmitt, der Zusammenhang zwischen Reich, Großraum und Nichtintervention grundlegend. Man muß hierbei Schmitts Staatsverständnis bedenken. Der Staat war für ihn nicht nur eine Maschinerie, sondern auch eine "seinsmäßige Größe als Ursprung eines Sollens". So können nur Staaten zu Reichen werden, die einen "Ethos zur Überzeugung" besitzen. Reiche seien hegemoniale Mächte, deren Führung auf Akzeptanz und nicht auf Zwang beruht. Durch Großräume kann eine politische Ordnung entstehen, in der die Staaten in der Lage sind, den Versuchungen des Universalismus zu widerstehen. Während die Beziehung zwischen Reich und anderen Großraumstaaten hegemonial strukturiert ist, unterliegt die Beziehung zwischen den Reichen anderen Regeln: denen der balance of power. Den Reichen fällt die Aufgabe zu, Manager des internationalen Systems, des Nomos, wie Schmitt sagt, zu sein. Schmitt legt die Großraumordnung somit als ein Gleichgewichtssystem einander symmetrisch anerkennender Großmächte aus. Diese Politik des Gleichgewichts soll dazu beitragen, die Hegung von Feindschaft und Krieg wieder zu ermöglichen. Das Gleichgewicht ist freilich stets gefährdet, und daher ist balancing ein fortwährender Imperativ. Dennoch sah Schmitt im Gleichgewicht der Reiche die einzige Möglichkeit, den universalistischen Tendenzen einzelner Mächte zu widerstehen. Kann diese Theorie von Nutzen sein für die Gegenwart? Es dürfte unbestritten sein, daß die Vereinigten Staaten nach dem Ende des Ost-West Konfliktes danach trachten, die Welt zu verwestlichen. Die Tendenz, den Globus nach amerikanischen Interessen und Idealen zu gestalten, ist aber keine obsessive Idee von Neokonservativen, sondern hat weit in die Geschichte zurückreichende Wurzeln. Die Sache Amerikas sei die Sache der gesamten Menschheit, lautet ein berühmtes Zitat Benjamin Franklins, das den messianischen Universalismus Amerikas verdeutlicht. Daß die Vereinigten Staaten bis 1990 nicht in der Lage waren, ihre Werte und Interessen zu globalisieren, lag an der Existenz des kommunistisch-sozialistischen Großraums mit seiner imperialen Macht Sowjetunion. Mit der Auflösung des sowjetischen Großraumes jedoch wurde den Vereinigten Staaten die Möglichkeit zur Globalisierung ihrer Politik eröffnet, und die "unersetzliche Nation" (Madeleine Albright) nutzte die Gelegenheit. Die Ost-Erweiterung der Nato, die Gründung der Nordamerikanischen Freihandelszone (Nafta), die militärische Intervention in Serbien, die Regimewechsel in Afghanistan und im Irak sowie die militärischen Drohungen gegen Nordkorea und Iran können als Beispiele für den amerikanischen Versuch gelten, einen globalen Großraum zu etablieren, mit den Vereinigten Staaten als Reich.

Die Globalisierung amerikanischer Interessen führte indes zu Gegenmachtbildungstendenzen bei den konkurrierenden Großmächten, die neben dem Bekenntnis zur multipolaren Weltordnung allesamt den Versuch darstellten, regionale Großräume zu schaffen, um sich, in Schmitts Worten, gegen die "Ansprüche einer universalen, planetarischen Weltkontrolle und Weltherrschaft" zu verteidigen. Blickt man auf die Politik der Russischen Föderation und Chinas, läßt sich der Anspruch klar erkennen, Reich in einem hegemonial strukturierten Großraum zu werden, um Amerikas Macht auszubalancieren.

So stellte Putin in seinem im Mai 2003 vor der Duma vorgetragenen Bericht zur Lage der Nation mit unübertrefflicher Klarheit fest, daß Rußland die Mitglieder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten enger an sich binden müsse, um seine eigene Position in der Region und gegenüber Amerika zu stärken. Diese Politik ist auch eine Folge des Umstands, daß man in Rußland die gegenwärtigen Beziehungen zwischen den Großmächten als "neue Aufteilung der Welt und Kampf um Einflußsphären" wahrnimmt, wie es Andrej Nikolajew, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses der Duma, ausdrückte.

Und auch die chinesische Führung hat wiederholt (zuletzt im Weißbuch von 2003) gesagt, daß die Schaffung eines für China vorteilhaften Klimas an seiner Peripherie zu den dringlichsten Aufgaben chinesischer Politik gehöre. Zwar bestreitet das Weißbuch vehement jegliches hegemoniale Streben Chinas in seiner Nachbarschaft; doch die verstärkten Einflußversuche Pekings in Südostasien sowie die Bekundungen verschiedener chinesischer Politiker, daß China in dieser Region eine führende Rolle einnehmen möchte, sprechen eine andere Sprache. China wie Rußland sehen sich in ihrem Bemühen, regionale Großräume zu schaffen, auch durch die Präsenz amerikanischer Streitkräfte in Zentralasien und durch die verstärkte amerikanisch-indische Kooperation bestärkt.

Und die Europäische Union? Nicht erst seit dem Irak-Krieg plädiert der französische Präsident für die Transformation der EU in eine politische Union mit autonomer Sicherheits- und Verteidigungspolitik, um sie zu einem Teil einer multipolaren Weltordnung zu machen. Aus französischer Sicht ist es die antiimperiale Idee (Werner Link), die in den Großraum hineinstrahlen und diesen definieren soll. Diese Idee wird jedoch (noch?) nicht von allen Staaten Europas geteilt. Einige, insbesondere die neuen Mitgliedstaaten, stehen ihr sogar ablehnend gegenüber und befürworten die Inklusion Europas in den amerikanischen Großraum. Die Verabschiedung eines europäischen Verfassungsvertrages wird die einende Wirkung für den politischen Großraum EU, die viele erhoffen, nicht entfalten. Denn es fehlt ihm an der von allen geteilten politischen Idee, die in den Großraum hineinstrahlen und ihn einen kann. Angesichts der Uneinigkeit der europäischen Staaten in der Frage, ob Europa Teil des amerikanischen Großraumes werden soll, ist es konsequent, daß Frankreich und Deutschland versuchen, den politischen Großraum Europa auf dem Umweg der Schaffung eines Kerneuropas zu verwirklichen. Dieses Kerneuropa wird durch die gemeinsame Idee einer pluralistischen Weltordnung geeint, die, objektiv betrachtet, ein gemeinsames Interesse aller Europäer ist. Sollte die Schaffung eines Kerneuropas gelingen, das eine magnetische Wirkung auf andere Mitgliedstaaten der EU ausübt, könnte hier in der Tat der Nukleus eines politischen Großraumes Europa liegen.

Heute befindet sich die Schaffung von konkurrierenden Großräumen noch im Status nascendi. Sollte die Entwicklung jedoch in diese Richtung verlaufen, dann entstünde ein neuer Nomos, der nach Carl Schmitt dadurch geprägt wäre, daß mehrere Großräume "unter sich ein neues Völkerrecht schaffen, auf neuer Ebene und mit neuen Dimensionen, aber doch auch mit manchen Analogien zum europäischen Völkerrecht des 18. und 19. Jahrhunderts, das ebenfalls auf einem Gleichgewicht mehrerer Mächte beruhte und dadurch seine Struktur erhielt".

Der Verfasser ist Privatdozent an der Universität zu Köln, forscht zur Zeit in Rom.


  
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